1708 übernahm Jakob Prandtauer nach dem Tod Carlo Antonio Carlones die Bauleitung im Benediktinerstift Garsten. Prandtauer führte den bereits im 17. Jahrhundert begonnenen Neubau bis zu seinem
Tod im Jahr 1726 fort.
Zu den wesentlichen Leistungen Prandtauers in Garsten zählen die Vollendung des gegenüber der Stiftskirche liegenden Westtraktes und die Errichtung des Nordtraktes, der im rechten
Winkel daran anschließt.
Das Interesse dieses Artikels gilt dem Westtrakt, genau gesagt dem zum ehemaligen Garten gewandten Risalit (also, dem vorspringenden Bauteil) mit dem großen Saal und dem zum Hof orientierten Treppenhaus.
Anders als in den Stiften Melk, Herzogenburg, Kremsmünster oder auch St. Florian hat sich im Stift Garsten der Saal nicht in originalem Zustand erhalten. Das liegt an der Tatsache, dass das Kloster im späten 18. Jahrhundert aufgehoben, zu einer Strafanstalt umfunktioniert und mehrfach baulich verändert wurde.
Heute dient der Saal der Justizanstalt als Kapelle und man kann sich kaum mehr vorstellen, warum ihn Franz Xaver Pritz 1841 als einen "der schönsten in Oberösterreich" bezeichnete.
Im Wesentlichen ist das Aussehen des Saales durch die Adaptierungen des 19. Jahrhunderts geprägt. Zu den wenigen Spuren des 18. Jahrhunderts zählen die vier Baldachine an den Schmalseiten, die heute förmlich in der Luft zu hängen scheinen, weil die kleinen Emporen, die es darunter gegeben haben muss, fehlen.
Befundungen im Bereich des Treppenhauses
Anfang August war ich zum letzten Mal für mein Buchprojekt unterwegs, und zwar war ich in Garsten und Kremsmünster. Ins ehem. Stift Garsten hat mich mein Weg geführt, weil es seit meinem letzten Besuch vor ein paar Jahren eine
Neuentdeckung gibt: Dank des Engagements von Franz Derflinger, der die Justizanstalt leitet und ein ausgezeichnet Kenner des Baus ist, wurden in Zusammenarbeit mit dem
Bundesdenkmalamt im Bereich des Treppenhauses Befundungen gemacht.
Dabei hat sich gezeigt, dass das Treppenhaus ursprünglich zum Saal hin nicht eine, sondern fünf große Wandöffnungen besaß. Diese Öffnungen wurden freigelegt, so dass nun wieder über das
Treppenhaus Licht in den Saal dringt.
Das Foto links zeigt die alte Situation, also den Zustand vor der Öffnung der Durchbrüche.
Zudem ist hier auch noch die Abmauerung des nördlichen Treppenarmes zu erkennen, der abrupt vor einer Wand endet.
Im Zuge der Restaurierung wurde diese Wand entfernt, so dass das zweite Obergeschoß nun wieder über beide Treppenarme betreten werden kann.
Dass die fünf Öffnungen verglast werden mussten, lag unter anderem an klimatischen Überlegungen. Die gewählte Lösung mit Sprossenfenstern überzeugt mich nicht. Vor allem aber fehlt die Balustrade, die zwischen die einzelnen Wandsegmente einst mit Sicherheit eingespannt war. Gut zu erkennen ist dies an der abrupt endenden Stuckierung bzw. Freskierung der Laibungen. Hätte man die Balustrade in Anlehnung an die Gestalt der Balustrade der Treppe rekonstruiert, wäre man dem ursprünglichen Zustand sicher näher gekommen.
Ausblick ...
Dank der neuen alten Wandöffnungen ist das Saal- bzw. Kapelleninnere nun wesentlich heller – allerdings immer noch nicht so hell wie in der Barockzeit. Zum ehemaligen Garten hin wurden nämlich im 19. Jahrhundert Wandstücke in die Fenster eingefügt, die den Raum heute verdunkeln. Aber nicht nur das: Auch am Außenbau stören die Wandsegmente, wie ein Blick auf die Gartenfassade zeigt. Sie zu entfernen, wäre ein Gewinn für den Bau.
Carlone oder Prandtauer?
Und auf wen geht die Lösung mit den Durchbrüchen vom Treppenhaus zum Saal zurück: auf Carlo Antonio Carlone oder auf dessen Nachfolger Jakob Prandtauer? Mit dieser Frage landen wir bei einem besonders intensiv diskutierten Punkt der Forschung, auf den ich in meinem Buch im Detail eingehe.
Um es kurz zu machen:
In meinen Augen spricht viel dafür, dass der gegenüber der Kirche liegende Westtrakt mit dem Saal und dem Treppenhaus bereits im Rohbau stand, als Prandtauer 1708 die Baustelle nach dem Tod
Carlones übernahm.
In Anbetracht der Veränderungen, die Prandtauer an Carlones Treppenhaus in St. Florian vorgenommen hat (er verlieh dem Treppenhaus mehr Leichtigkeit, indem er im Obergeschoß die mittlere Öffnung
vergrößerte und in den Seitenachsen die Rankengitter einfügte), erscheint es mir denkbar, dass die Durchbrüche in Garsten ebenfalls auf Prandtauer zurückgehen.
Weiterführend
Da das Kloster Garsten als Justizanstalt dient, sind Treppenhaus und der ehem. Saal nicht zugänglich. Sie können aber den sehenswerten Hof des ehem. Klosters und die ehem. Stiftskirche (heute: Pfarrkirche), ein Hauptwerk von Pietro Franceso und Carlo Antonio Carlone, anschauen.
Aus meinem Blog:
Nochmals auf Reisen ...
(mit einem Video aus Garsten)
Newsletter
Hier können Sie via E-Mail den Newsletter abonnieren.
Den Artikel teilen:
Kommentar schreiben