Wenn Sie sich mit einem Reiseführer ausgestattet Kirchen, Klöster und Paläste der Barockzeit anschauen, werden Sie in Ihrem Handbuch nicht nur Hinweise zur Baugeschichte, sondern meist auch den Namen des Architekten lesen. Woher aber weiß man eigentlich, wer die einzelnen Bauten entworfen hat?
Manchmal gibt es Quellen aus der Bauzeit
Manchmal haben sich in den Archiven Pläne oder Dokumente wie etwa Verträge, Briefe oder Rechnungen erhalten, die den Namen des Architekten überliefern – für die Kunsthistorikerin bzw. den Kunsthistoriker ein echter Glücksfall, aber nicht die Regel.
Oft hilft nur der kennerschaftliche Blick
Nur allzu oft ist man auf seine Augen angewiesen. Kunsthistorikerinnen bzw. Kunsthistoriker können sich zum Beispiel in den Stil eines Malers "einsehen", indem sie unzählige seiner
Werke studieren, und erkennen dann häufig, ob ein unsigniertes Bild von ihm stammt oder nicht.
Und in der Architektur ist das nicht anders: Man kann sich auch in das Werk eines Architekten "einsehen", einen kennerschaftlichen Blick entwickeln und dann sagen, ob er den Bau entworfen hat
oder nicht.
Ein Beispiel: Links sehen Sie ein Fenster des Stiftes Melk, rechts ein Fenster des Stiftes Herzogenburg. Beide Fenster haben dieselbe Art der Verdachung: einen geschweiften Rundbogengiebel mit einem Medaillon in der Mitte. Der Vergleich zeigt, dass hinter beiden ein und dieselbe entwerfende Hand steckt – Jakob Prandtauer.
Nun ist sowohl das Stift Melk als auch das Stift Herzogenburg durch schriftliche Quellen eindeutig für Prandtauer gesichert. Nähern wir uns daher einem komplizierteren Fall, bei dessen Entdeckung prompt auch noch der Zufall eine Rolle gespielt hat.
Und manchmal braucht man auch den Zufall
Eine meiner unzähligen Archiv- und Besichtigungsfahrten auf den Spuren Prandtauers hat mich 2009 auch nach Weyer in Oberösterreich geführt.
Ich wusste aus der Literatur, dass der Baumeister 1709 im Auftrag des Stiftes
Garsten nach Weyer gereist ist (just 300 Jahre vor mir), um das schadhafte Gewölbe der dortigen Pfarrkirche zu besichtigen.
Nun wollte ich den Bau im Original sehen.
Da ich das Gewölbe auch vom Dachboden, also von oben, anschauen wollte, hatte ich einen Termin mit dem Pfarrer vereinbart, war aber zu früh dran. Und so beschloss ich noch ins Stadtzentrum auf einen Kaffee zu fahren.
Gesagt, getan: Das Auto am Marktplatz abgestellt, ausgestiegen und ich stehe, kaum zu glauben, vor einem Prandtauer-Bau – ohne Zweifel! Noch ein Objekt mehr für das Werkverzeichnis meines Buches ...
Der Bau besitzt eine dreigeschoßige, sechsachsige Fassade. Besonders markant sind die Verdachungen der Fenster im ersten Obergeschoß, die eindeutig die Handschrift Prandtauers tragen.
Nun kennen Sie ja schon die Fenster mit den Medaillons aus Melk und Herzogenburg, in diesem Fall gibt es jedoch Vergleichsbeispiele aus dem archivalisch gesicherten Werk Prandtauers, die noch überzeugender sind, und zwar Fenster bzw. Fensterverdachungen des Stiftes Garsten (Fotos links).
Über die Geschichte des Hauses am Marktplatz 3 war letztendlich nicht allzu viel in Erfahrung zu bringen: Von 1741 bis 1850 diente es als Rathaus, heute beherbergt es das Bezirksgericht.
Welche Funktion der Bau zu Lebzeiten Prandtauers (1660 –1726) hatte, ist nicht bekannt. Auch wer der Auftraggeber war (ein Abt des Stiftes Garsten?), weiß man nicht.
Vage lässt sich die Bauzeit zwischen 1708/09 (1708 übernahm Prandtauer die Bauleitung in Garsten, 1709 reiste er nach Weyer) und 1726 (in diesem Jahr starb der Baumeister)
eingrenzen.
Und das Fazit?
Wäre ich auf meiner Tour nicht zu früh dran gewesen und hätte ich nicht just vor dem Haus am Marktplatz 3 einen Parktplatz gefunden, hätte ich diesen Bau Prandtauers mit Sicherheit nicht
entdeckt. Hier hat der Zufall seine Hand im Spiel gehabt.
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Der Vertrag zwischen dem Stift Melk und Jakob Prandtauer
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